Noch ist sie nicht verschwunden, die Visitenkarte. Wer etwas auf sich (und seine Firma) hält, verteilt noch immer Papier. Mit ein wenig Stil: Zehn Merkpunkte zur Visitenkarte.

Silicon Valley ist ein Land der Widersprüche. Hier, wo die Geeks jeden Tag die Welt neu erfinden, wirkt die Infrastruktur wie aus dem letzen Jahrhundert (aus dem sie ja auch tatsächlich stammt). Und die Menschen selber geben sich im Alltag bereitwillig mit Konzepten zufrieden, die auf den ersten Blick völlig obsolet erscheinen – wie demjenigen der Visitenkarte.

Ein exemplarisches Paradox dieser technophilen Gesellschaft habe ich mir deshalb vor zwei Jahren erst angeschafft: Einen Visitenkarten-Scanner. Wie absurd dieses Gerät eigentlich ist, wird erst richtig deutlich, wenn man sich mal mit dem Entwurf der eigenen Karte beschäftigt hat:

Am PC gestaltet man einen Adressdatensatz, damit der auf kleine Papierschnipsel gedruckt werden kann, die man dann andern Leuten in die Hand drückt, welche sie im Büro von einem Assistenten/Praktikanten/Scanner einlesen und unter hohem Fehlerrisiko wieder in einen Datensatz umwandeln lassen.

Und das in einer Zeit, in der alle mit Bluetooth-Handys rumrennen, die auf mindestens drei verschiedene Arten Adressdatensätze und digitale Visitenkarten im „.vcf“-Format verschicken können.

Warum also nutzen wir diese Funktion nicht?

Weil ob allem Effizienzdenken noch ein Rest Stilbewusstsein übrig geblieben ist. Einverstanden, das ist die optimistische Erklärung. Die realistische lautet: Weil die wenigsten Menschen sich ausreichend mit den Funktionen des Supercomputers in ihrer Hosentasche auskennen.

Es ist ganz einfach peinlich, jemandem erklären zu müssen, wie er sein Handy kurzfristig für den Empfang von Bluetooth- (oder, altmodisch, Infrarot-) Übertragungen einrichtet, damit man ihm auf Knopfdruck die eigene Adresse schicken kann.

Um dem Gegenüber ganz nach japanischer Sitte die Blamage zu ersparen, zückt man deswegen auch im Silicon Valley eine Visitenkarte und streckt sie, zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmt, in Richtung der Person, von der man gerne wahrgenommen werden möchte (die Rede ist hier strikt von Geschäftskontakten. Im privaten Analogfall schreibt man die eigene Handynummer auch dann höchst spontan und einfallsreich auf eine Papierserviette, wenn man die Tasche voller Visitenkarten hat).

Womit wir, nach länglicher Einleitung, bei ein paar Punkten wären, die mir in den Jahren des Sammelns und Einscannens zu Visitenkarten eingefallen sind.

Da die Vergabe der Karten ein aktiver Vorgang ist – man möchte, dass der Empfänger die Adresse in seine Datenbank aufnimmt -, ist es unlogisch, ihm gestalterische Hindernisse in den Weg zu legen oder den Zweck der Karte zu verwässern. Es sei denn, man ist um die Karte gebeten worden (passive Kartenausgabe) und möchte nicht in der Adresskartei des Bittstellers auftauchen – für diesen Zweck könnte man sich einen zweiten, möglichst unlesbaren Satz Karten herstellen lassen (die kalifornische Art der Kommunikation: Zustimmende Abweisung.)

Für den ersten Stapel allerdings gilt:

  1. Die Papierschnipsel sind die Visitenkarte Ihrer Firma. Deswegen sollten sie jedenfalls das Logo enthalten und auch sonst einen guten Eindruck machen.
  2. Aufwändige grafische Versteckspiele mit der Adresse auf der Karte sind für Grafiker ein Muss, alle andern sollten sie tunlichst unterlassen.
  3. Die Anordnung der Datensatz-Bestandteile hat gängigen Konventionen zu folgen. Rechtwinklig versetzter Text wirkt bemüht und wird vom Kartenscanner nicht erkannt. Minimaler Karteninhalt sollten Name, Email-Adresse, direkte Telefonnummer und bitte auch Standort inklusive Postleitzahl und Länderkennung sein. Spätestens im Umgang mit Leuten aus andern Zeitzonen ist das eine kritische Information.
  4. Telefonnummern sollten im internationalen Format mit „+“ und Länderkennzahl und ohne Klammern um die Regionalvorwahl formatiert werden – meines Wissens kann inzwischen fast überall auch im Inland mit der vollen Nummer gewählt werden.
  5. Die Funktionsbezeichnung sollte gut überdacht werden. Inzwischen würde ich mich nicht mehr über eine Karte „Vice President Housekeeping“ wundern. Was wenigstens konkret ist.
  6. Papier- und Schriftwahl sind keine Nebensächlichkeiten. Schweres Papier mit einem zu Branche und Firma passendem Rand und eine Schrift, die auf die CI der Firma abgestimmt ist, sind Pflicht.
  7. Protzige Karten mit Goldprägung und dergleichen sollten sich nur Leute mit eigenem Privatjet leisten. Bei allen andern wirken sie überheblich oder – schlimmer – verschwenderisch.
  8. Selbstdruck-Visitenkarten sind etwas für Hochstapler und Teenager. Karten mit spürbarer Mikro-Perforation oder Inkjet-Schmierereien beim geringsten Handschweiss- oder Mineralwassereinfluss müssen mündlich als Überbrückung und Notlösung deklariert werden.
  9. Das Portemonnaie in der Jeans-Gesässtasche ist als Ursprung der überreichten Karte nicht akzeptabel. Zumindest an Networking-Events macht sich ein Karten-Etui nicht nur gut, es sorgt auch für makellose Papierkanten.
  10. Die Überreichung der Karte ist ein Vertrauensbeweis (ausser, man hat darum gebeten und kriegt eine vom Stapel „unlesbar“) und sollte auch so wirken. Wer aus einem dicken Kartenstapel (womöglich noch mit Gummiband) am Apéro Karten austeilt wie ein Sämann, darf sich nicht wundern, wenn er viele davon draussen auf dem Gehsteig am Boden wiederfindet.

Das alles sind natürlich Regeln von gestern. Heute müsste man eigentlich einen Weg finden, die verfügbare Technik einzusetzen, ohne bei jedem Kontakt gleich in eine Smartphone-Schulung für Manager zu verfallen.

Eine Übergangslösung wären Visitenkarten, auf denen nur eine Mailadresse und ein „Betreff“ steht, im Stil von: Schick mir eine E-Mail mit dieser Headline, und Du kriegst die Detaillierten Daten zurück. Das hätte den Vorteil, dass man .vcf-Dateien verschicken, individuell entscheiden könnte, was man dem Kontakt verrät und was nicht, und den Vorgang im Mailprogramm via Filter auch automatisieren könnte.

Inzwischen haben aber auch smarte Unternehmer die Untauglichkeit der Bluetooth/Infrarot/SMS-Visitenkarten erkannt und neue, elegantere technische Lösungen kreiert – eine sehr bemerkenswerte namens Poken stammt aus der Schweiz. Wir kommen demnächst darauf zurück.