Doodle, der Webdienst zur Findung gemeinsamer Termine, war ein Freizeitprojekt und ist heute Marktführer. Wie anstrengend, und wie gefährdet ist diese Position?

Paul Sevinç und Michael Näf, Gründer von Doodle.com: Grün für Ja, rot für Nein und Gelb für Ja, aber lieber ein andermal... (Bild zvg)

Doodle.com teilt die klassische Gründungs-Legende erfolgreicher Web-Unternehmen: Jemand braucht eine online-Dienstleistung, hackt sie sich selber zusammen, wird von den Nutzern überrannt und findet sich unvermittelt in einem erfolgreichen Startup wieder.

Michael (Myke) Näf wird dieser Kurzfassung eines Doodle-Porträts nicht voll umfänglich zustimmen. Doodle ist als namenloser Freizeit-Projekt gestartet, und der Sprung zum Startup ließ fast vier Jahre auf sich warten:

2003 arbeitete Myke als Sicherheitsspezialist bei einem Börseninformationsdienst und erkannte, dass die Terminsuche für das Abendessen mit Freunden, den Kinoausgang und dergleichen sich zwar auf die neuen Kommunikationsmittel wie SMS und Email verschoben hatte, aber (deswegen) nicht mehr funktionierte: Man plauderte hin und her – und kriegte keine Abmachung zustande. (Ketzerischer Zwischenruf: Tele-Kommunikation unterliegt dem gleichen Problem wie das Transportwesen. Sie ist inflationär billig, weshalb die Effizienz auf der Strecke bleibt.)

Also hackte Michael Näf für sich und seine Freunde eine kleine Webapplikation zusammen, die aus Terminmöglichkeiten die optimale ermittelte. Tratschen kann man nämlich beim Bier in der Beiz immer noch besser als per Email.

Diese Ansicht teilten mehr und mehr Nutzer des Dienstes, „dabei mussten sie sich auf einem Server mit IP-Adresse einwählen [Netzwerk-Zahlenadresse, um Gegensatz zu namen-Domain wie doodle.com]“, sagt Michael. Jahrelang pflegte er die kleine Applikation, entwickelte sie selber weiter, während sie nicht mehr nur von seinen Freunden, sondern von den Freunden der Freunde und deren Freunde genutzt wurde: Anfangs 2007 hatte der Dienst monatlich zwischen 100.000 und 200.000 Unique Visitors (eindeutig identifizierte, wiederkehrende Nutzer), das Projekt geriet an seine technischen und personellen Grenzen.

Von null auf drei Millionen in sechs Jahren

„Zugleich war eindeutig, dass ein kommerzielles Potential vorhanden war“, sagt Michael Näf, der damals grade an der ETH einen Lehrauftrag hatte und dort den Doktoranden Paul Sevinç zur Mitarbeit bewegte. Im März 2007 trugen sie Doodle als GmbH ins Handelsregister ein und gewannen das Coaching des KTI.

Zwei Jahre und eine Finanzierungsrunde später ist Doodle.com weltweiter Marktführer im „Scheduling“, mit 3 Millionen Nutzern. das Umsatzmodell: Werbung und „branded Services“, also Doodle mit Firmenlogo, verschlüsselt und in die Firmenwebsite eingebunden, als Bezahldienst. Mitarbeiter: Neun, davon zwei Marketing.

Das war die märchenhafte Vorgeschichte, und jetzt folgt die Realität, es folgen die Nachahmer, es folgt der Druck, und meine Frage: Wie sehr muss man sich als Marktführer, dessen Dienst auf einer leicht kopierbaren Idee (und nicht auf einer Hardware wie etwa bei Poken) beruht, vor der Konkurrenz fürchten?

Michael Näf gibt sich sehr gelassen. „Wie wichtig ist Technik? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Wir haben von Anfang an darauf geachtet, weder das Interface noch die Datenbank-Technik zu überladen.“ Das äußert sich in zwei Dingen: Doodle baut seine Features nur sehr sparsam aus. „Man muss auch mal verzichten können“, sagt Näf, und besser, als zwei Prozent der Nutzer ihre Sonderfunktion zu geben sei es, den übrigen 98 Prozent die Nutzung nicht mit komplizierten Eingabemustern zu vergällen.

Rot heisst nein, grün heisst ja, gelb heisst ja, aber

„Ein Beispiel: Unsere Standard-Antwortmöglichkeit auf eine Terminanfrage war binär: Rot für nein, grün für ja. Dann kamen Kunden mit Wünschen wie Prioritätsstufen von 1-10 für jeden Termin und dergleichen. Wir haben nach langer Diskussion genau einen zusätzlichen Zustand, gelb, eingeführt. Und wir haben seine semantische Definition ganz genau bestimmt: Er steht auf der Stufe ‚grün‘ und bedeutet ‚Grundsätzlich ja, aber ich bevorzuge einen anderen Termin‘.“

Das zeigt: Die wesentlichen Entscheidungen nehmen viel Zeit in Anspruch und sehen gegen aussen aus wie Kleinigkeiten. Darin aber liegt ein Erfolgsgeheimnis: Mehrwert zu schaffen, ohne die Komplexität zu steigern.

Das gilt auch für das technische Rückgrat. „Wir diskutieren über jedes neue Feature und jede technische Anpassung sehr, sehr ausführlich – vor allem Paul und ich. Manchmal denke ich, wir diskutieren zu lange. Aber zwei Monate später stelle ich fest, dass es genau richtig war – weil sich die kleinen Features nahtlos einfügen.“ Langfristig macht es für einen Betrieb wie Doodle einen enormen Unterschied, ob die Basis-Datenbank aus 15 oder 500 Tabellen mit Details besteht.

Schweizer Vorteil: Sprach- und Kulturbewusstsein

Oder ob man von allem Anfang an an die Skalierbarkeit gedacht hat: „In San Francisco war ich erstaunt, wie viele technisch ausgereift scheinende Startups noch nicht einmal die technische Basis für eine Internationalisierung haben.“ Hier spiele grade den Schweizer Startups ihr Bewusstsein für Kultur- und Sprachunterschiede in die Hand: Doodle hat von Beginn an auf den internationalen Zeichensatz UTF8 gesetzt und kann deshalb problemlos auch in Sprachen mit anderer als lateinischer Schrift übersetzt werden.

Doodle hat sich zudem die Anwender zu nutzen gemacht: Heute ist der Dienst in 21 Sprachen verfügbar – und gerade mal zwei davon, deutsch und englisch, pflegt die Firma selber. Der Rest sind Übersetzungen von Fans, die Doodle ermutigt und nach Kräften unterstützt, aber sich nicht weiter darauf einlassen muss.

Programme sind kopierbar, loyale Anwender nicht

Hier liegt der maßgebliche Wettbewerbsvorteil. Natürlich, sagt Michael Näf auf meine Frage, kann heute jeder mit etwas Programmierkenntnis das Grundgerüst von Doodle nachbauen (das haben die beiden Macher hinter joinup.ch zum Beispiel getan – wie Denis Abt mir erklärt, um Doodle technisch herauszufordern und nie in der Absicht, kommerzielle Konkurrenz zu werden). Konkurrenten sind timebridge oder jiffle – aber auch bei den Geeks wie Mike Butcher von TechCrunch UK hat Doodle die Nase vorn. Daneben gibt es Dienste mit anders gelagertem Schwerpunkt, wie die Event-Organisation von amiando.com .

„Aber erstens geht es heute nicht mehr um die Grundlegende Anwendung, die technische Herausforderung ist die Integration der gefundenen termine in Kalender- und Planungssoftware wie Outlook und GoogleCalendears“. Und zweitens hat Doodle einen Vorsprung in den Köpfen der Anwender und eine loyale Fangemeinde: „Drei Millionen Nutzer können, anders als die grundlegende Anwendung, nicht von heute auf morgen erreicht werden. Doodle ist im Bewusstsein der Menschen drin.“

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