Das Startup Qumram archiviert Webinhalte. Dazu schaut es quasi dem Surfer über die Schulter.

Immer wieder wird eine Sache als Kulturproblem des Webzeitalters diagnostiziert: Die Flüchtigkeit des Digitalen. Denn Löschen ist einfacher als Archivieren.

Werden Webseiten überholt, landen ihre Vorgängerversionen meist im Orkus. Stillgelegte Blogs, URLs die den Besitzer wechseln, Unterhaltungen auf den sozialen Medien – kaum jemand befasst sich damit, wie man diese Inhalte konservieren und auffindbar halten könnte. Sobald Anbieter eingehen oder Webseiten neu lanciert werden, gehen Daten verloren. Aus diesem Problem eine Geschäftsidee gezimmert hat das Zürcher Startup Qumram.

Was das Internet Archive bereits als Nonprofit-Dienst für Teile des Webs macht, nämlich die Archivierung von Webseiten, möchte Qumram als Standardlösung für Organisationen und Unternehmen anbieten: Eine Applikation, die lückenlosen Zugang zur Vergangenheit ermöglicht.

Einen Termin bei Unternehmen zu bekommen für die Vorstellung der Software sei nicht schwer, so Qumrams Sales Manager Lars Baumann. Das Bewusstsein, dass Web-Inhalte früher oder später konserviert werden müssen sei da, nur das «Wer» und das «Wie» sei offen. Aktuell machen die Gründer die Erfahrung, dass sich Unternehmen noch mit allerhand selbst gebastelten Workarounds behelfen, wie dem Ausdrucken von Webseiten oder der Erstellung von PDFs. Aber wie pitcht man einen solchen Dienst, der etwas Neuartiges anbietet? Lars Baumann meint dazu, man wünsche sich manchmal mehr Mitbewerber.

Dem Surfer über die Schulter schauen

Die Grundidee von Qumrams Software Chronos ist, den Archivierungsprozess statt im Backend am Frontend von Websites einzuhängen. Die Software greift sich das, was die Besucher sehen. Anstelle einer Einbindung in Content-Management-Systeme und Datenbanken sitzt Chronos zwischen Server und Surfer und speichert jede ausgelieferte Seite. Auf diese Weise ist keine knifflige Integration in das System vor Ort nötig und die Software muss sich nicht mit Datenformaten herumschlagen. Stattdessen archiviert in einem einzigen Format: HTML. So passiert die Aufbewahrung in einem dauerhaften Standard.

Die abgegriffenen Seiten werden von der Software verschlagwortet und abgelegt, versehen mit Timecodes. Greift der Nutzer auf die History der Seite zu, kann er ähnlich wie bei Apples Time Machine für jede Seite durch einen Zeitbalken scrollen und ihre Modifikationen über die Zeit hinweg verfolgen. Auf Wunsch legt die Applikation für jede noch so kleine Veränderung eine Speicherung an. Zusätzliches Feature ist ein Grabber, die wie eine Suchmaschine Seiten auslesen kann und auch beispielsweise Facebook- und Twitterstreams aufzeichnet.

Verpflichtung zum Archivieren

Die Idee gibt es schon eine Weile: 2007 entwickelte Simon Scheurer, der heutige Director of Product Management, ein Konzept. Das wurde dann im Auftrag der Suva und Unic softwaremässig umgesetzt. 2009 wurde Qumram dann durch Simon Scheurer und Mathias Wegmüller, den heutigen CEO als Firma gegründet. 2010 kamen Lars Baumann, Verkaufsleiter und Jürg Truniger, Partner Manager zum Team und eine AG wurde aus der Taufe gehoben.

Als B2B-Lösung hat Qumram keinen Branchenfokus. Im Visier haben die Gründer Kundensegmente, für die das Thema Archivierung relevant ist. Dazu gehören regulierte Märkte, die beim Vorhalten von Daten Auflagen erfüllen müssen – etwa Unternehmen, die von Gesetzes wegen börsenrelevante Informationen aufbewahren müssen. Einzelne Organisationen müssen auch gemäss dem Bundesgesetz zur Archivierung ihre Inhalte als Kulturgüter aufheben.

Weiter zielt man auf Unternehmen, deren Hauptgeschäftsbereich das Web ist, etwa im E-Commerce. Ausserdem Medienunternehmen, für die eine Versionshistory ihrer Inhalte eine zusätzliche Sicherheit bietet. Sicherheit ist auch sonst ein wichtiger Selling Point für die Gründer. So mache die Applikation auch nachvollziehbar, was zum Beispiel bei einer eBanking-Lösung dem Kunden effektiv angezeigt wurde – „Unternehmen sind hier bislang blind,“ sagt Baumann.

Auf dem Fahrplan für 2011 steht zunächst das Wachstum im Schweizer Markt, zum einen über Direktverkäufe, zum andern über Partner: Adnovum, Saperion und Unic bieten Chronos als OEM-Version an. Eine Software-as-a-Service-Version von Chronos ist in Planung. Bislang eigenfinanziert unterwegs, hat das Startup sich aus den bisherigen Cashflows gespeist. In den kommenden Monaten wollen sich die Gründer aber auf die Suche nach Wachstumsfinanzierung machen.