Wenn persönliche Werte und entgegengesetzte Kundenanliegen kollidieren – ein Plädoyer für mehr Mut zur Moral.

von Manuel Reinhard, Gründer Ticketpark

Startup-Tagebuch: Manuel ReinhardIch habe mich sehr gefreut, den Artikel von Gastautor-Kollege Dominic Blaesi über den Wert von Werten zu lesen. Allzu oft kriege ich nämlich den Eindruck, dass im Geschäftsleben persönliche Werte zu Gunsten höherer Einnahmen eingetauscht werden. Nicht nur unter Erfolgsdruck stehende Startup-Gründer werden Opfer dieser Verlockung.

Noch gut im Erinnerung ist mir ein Radio-Interview vom Februar dieses Jahres, in welchem die Geschäftsführerin einer bekannten Schweizer Werbeagentur behauptete, noch nie mit einem Auftrag an die moralischen oder ethischen Grenzen ihrer Firma gestossen zu sein und sich auch keine konkreten Fälle vorstellen könne, bei welchen dies der Fall wäre. Dies mit einem Portfolio, welches mit Alkohol, Zigaretten und Kleinkrediten auch umstrittene Werbeinhalte enthält.

Für ein Startup scheinen mir solche Aussagen unangebracht, ja geradezu tödlich für die Glaubwürdigkeit. 

Es ist anzunehmen, und zu hoffen, dass jeder Firmengründer privat für gewisse Werte einsteht. Beispielsweise bin ich persönlich überzeugter Nichtraucher und Zivildienstleistender. Was wäre nun, wenn wir mit unserem Startup Dienstleistungen für den Firmenanlass einer Tabakfirma oder für Aktivitäten der Armee erbringen würden? Mindestens im persönlichen Umfeld würde ich bestimmt an Glaubwürdigkeit und Respekt verlieren.

Der eine oder andere mag hingegen eine Argument anbringen im Sinne von: «Man muss alle gleich behandeln». Meiner Meinung nach ist dies nur eine bequeme Ausrede. Eine Ausrede, die vom Wunsch nach wirtschaftlichem Erfolg getrieben wird.

Gefahr User-Generated-Content

Die Problematik wird natürlich besonders akut, wenn man eine Webplattform betreibt, auf welcher jeder beliebige Inhalte präsentieren kann – ein gängiges Modell heutzutage.

Social Networks sind ein klassisches Beispiel. Ich weiss nicht, ob sich die Gründer von Facebook und Twitter zu Beginn bewusst waren, dass ihre Dienste auch für die Verbreitung von fragwürdigen oder gar illegalen Inhalten genutzt werden würden. Doch ist dies eine Frage, welcher man sich heute mit einem Web-Startup auf jeden Fall auch stellen muss: «Wie reagiere ich, wenn die User meine Plattform missbrauchen?».

Ob man damit leben kann, mit Inhalten in Verbindung gebracht zu werden, die nicht der persönliche Einstellung entsprechen, sollte man sich im Voraus überlegen. Im ungünstigsten Fall nimmt der Ruf der Firma und auch des Gründers gewaltigen Schaden. Wer damit nicht umgehen möchte, lässt wohl besser die Finger von einer solchen Idee.

Startups als Chance für Menschen mit Moral

Persönliche Werte sind nur dann echt, wenn dafür gewisse Opfer in Kauf genommen werden, auch im Geschäftsleben.

In der Rubrik Startup-Diary schildern Jungunternehmer wöchentlich, mit welchen praktischen Problemen sie in ihrem Gründeralltag konfrontiert werden und welche Lösungsansätze sie gefunden haben.
Als Startup-Gründer hat man im Gegenzug aber auch die einmalige Gelegenheit, die eigenen Werte in einem Umfang in die Firma einzubringen, wie dies als Angestellter kaum möglich ist. Ja, die gesamte Ausrichtung der Firma lässt sich entsprechend steuern.

Durch geschickt geleitetes Marketing und entsprechende Positionierung kann das Dilemma, einem potentiellen Kunden wegen einem persönlichen moralischen Zwist absagen zu müssen, oft vermieden werden. In den wenigen Fällen, in welchen es doch noch dazu kommt, fällt eine Absage dann deutlich einfacher und bereitet sogar Freude: Persönliche Werte und das Geschäft konnten offenbar in Einklang gebracht werden.

Meine letzte Absage an eine möglichen Kunden aus persönlich motivierten Gründen liegt übrigens etwa fünf Wochen zurück. Es fühlt sich immer noch gut an.