Das Klischee sagt, dass ein Startup-Gründer rund um die Uhr für seine Firma verfügbar sein muss. Unser Gastautor erklärt, weshalb er damit nicht einverstanden ist und wie er als Gründer loszulassen versucht.

von Manuel Reinhard, Gründer Ticketpark

Manuel ReinhardWas quasi als One-Man-Show begonnen hat beschäftigt heute regelmässig zwölf Personen in verschiedener Funktion und Ausprägung. Nicht alle davon sind direkt bei uns angestellt, aber man kann doch sagen, dass Ticketpark auf dem besten Weg ist, eine wahre Organisation zu werden.

In diesem Prozess musste ich mir bewusst werden, dass es nicht möglich ist, stets alles unter Kontrolle zu haben. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass ich als Einzelperson für die Firma austauschbar sein muss. Nur so die Firma zu einem dauerhaften Erfolg werden.

Dafür zwei simple Beispiele:

  1. Absenzen – Ich bin überzeugt, dass man auch als Gründer früher oder später seine Auszeiten haben muss. Dies beginnt mit einem ruhigen Abend, an dem man dringende Support-Mails von einer andere Person beantwortet weiss, geht über einen Urlaub zum Kräftetanken bis hin zur ungeplanten Absenz aufgrund von Krankheit, Unfall oder gar Tod. Wenn das Unternehmen in diesen Phasen nicht zumindest in der Lage ist, den Alltag abzuwickeln, nehme ich mich als Gründer zu wichtig und verstehe die Firma nicht als eigenständiges Wesen, das ich ins Erwachsenenalter führen möchte.
  2. Exitmöglichkeiten – Ich habe persönlich keine Erfahrung mit Exits. Doch wenn es mein Ziel ist, die Firma zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verkaufen, dann muss diese auch ohne mich funktionieren können. Abhängig von den Vereinbarungen mit dem Käufer bin ich in den neuen Strukturen vielleicht gar nicht mehr erwünscht. Bestimmt will ich einen möglichen Exit nicht dadurch verhindern, dass ich für den Käufer eine Last werde, da er auf mich angewiesen ist.

Den Betrieb der Firma vom ursprünglichen Gründerteam loszulösen geschieht natürlich nicht von heute auf morgen. Es ist auch nicht meine Idee, dass sich die Gründer aus dem Alltagsgeschäft verabschieden sollen. Es sollte aber theoretisch möglich sein.

Mut zur Veränderung

Folgende einfachen Vorgehensweisen haben mir geholfen, diese «Verselbständigung» bei uns in die Tat umzusetzen:

Verantwortung übergeben – Das Delegieren von Aufgaben ist immer mit Emotionen verbunden. Man hat Angst, dass Dinge nicht mehr so umgesetzt werden, wie man es selbst tut. Und oft ist dies auch der Fall. Dabei darf man «anders» aber nicht mit «schlechter» verwechseln. Wenn man überzeugt ist, dass man bei der Wahl der Mitarbeiter die richtigen Entscheidungen getroffen hat, darf man getrost davon ausgehen, dass «anders» in Wirklichkeit «besser» ist. Nicht umsonst gilt besonders für Gründer der Ausspruch «If you are the smartest person in the room, you are in the wrong room». Gründer sollten stets darauf bedacht sein, Aufgaben an Personen zu übergeben, die diese besser ausführen als man selbst. Dabei schafft man Freiheit für die eigenen Kompetenzen und bringt die Firma voran. Vorgelebt wird dies von erfolgreichen CEOs wie Phil Libin von Evernote (siehe Märzausgabe von von Inc).

Umstrukturieren und verteilen – Manchmal muss man bewusst Dinge in die Hand nehmen und verändern. In unserem Fall war die Finanzplanung ein solches Thema. Diese lag in meiner Verantwortung, aber mir wurde immer bewusster, dass ich die falsche Person für diese Aufgabe bin. Also haben wir eine interne Lösung gesucht – und gefunden. Zwar war es ein längerer Prozess, doch ist der Erfolg sofort greifbar geworden: Wir haben mehr Vertrauen in unsere Finanzplanung. Gleichzeitig gibt es nun mehr Personen innerhalb der Firma, die sich damit auseinandersetzen, da ich als Geschäftsführer weiterhin involviert bin. Entsprechend würde ein Ausfall des neuen CFOs auch nicht die Planung über den Haufen werfen. Es gibt weitere Personen, die genügend Kenntnisse haben, um zumindest eine Übergangslösung zu finden.

Testphasen durchführen – Um Herauszufinden, ob die Firma losgelöst von einer Einzelperson funktionieren kann, muss man es einfach einmal ausprobieren. Ich hab dies schon mehrmals getan – habe mich in lange Weekends oder in einen Urlaub verabschiedet.

In der Rubrik Startup-Diary schildern Jungunternehmer regelmässig, mit welchen praktischen Problemen sie in ihrem Gründeralltag konfrontiert werden und welche Lösungsansätze sie gefunden haben.
Dies klappte mal besser, mal weniger gut – ich habe viele Male in abenteuerlichen Situationen aus der Distanz einen Programmier-Bug geflickt, einem Kunden Auskunft gegeben oder Mitarbeiter angeleitet. Wir sind aber immer besser geworden, weil uns bewusst wurde, wo das Know-How zu sehr auf eine Einzelperson konzentriert war. Dies haben wir mit entsprechenden Mitteln angepackt. Manchmal hilft es, eine bessere Struktur der Datenablegung zu erarbeiten. Manchmal ist es die Ausweitung der Kompetenzen eines Mitarbeiters, die hilft. Manchmal auch nur eine Förderung des Bewusstseins, wo effektiv die Prioritäten liegen.

Praxistest bestanden

Ich habe es mir im Februar gegönnt, drei Wochen in der Karibik Sonne zu tanken. Gleichzeitig wurde ein wichtiger Mitarbeiter krank und lag eine ganze Woche im Bett. Während der ganzen Zeit war ich jeden Tag für meine Arbeitskollegen erreichbar und hätte auch Zeit und die Möglichkeit gehabt, mich um Anliegen aller Art zu kümmern. Nötig war dies aber nur einmal ganz kurz. Die angefallenen Pendenzen hatte ich nach meiner Rückkehr nach einem halben Tag aufgearbeitet. Ich kümmere mich seither um eine technische Entwicklung, welche unsere Firma einen grossen Schritt weiterbringen wird.

Jede andere Person innerhalb der Firma könnte es genauso handhaben und der Laden würde weiterlaufen. Ziel erreicht! Vorläufig. Denn die Loslösung von Einzelpersonen ist Teil einer Firmenkultur, die ständig weitergelebt werden muss. Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt.