Der Kanton Zürich stellt sich gerne als innovativ und Startup-freundlich dar. Zuletzt wurde mit grossem medialen Interesse die Initiative „Digital Zurich 2025“ lanciert. Gleichzeitig etablieren die kantonalen Steuerbehörden eine neue Steuerfalle, die Gründer der vielversprechendsten Schweizer Startups privat in den Ruin zu treiben droht und Investoren künftig davon abhalten wird, in Zürcher Startups zu investieren. Um die drohende Abwanderung der besten Startups in die Nachbarkantone zu verhindern, wollen die Zürcher ihre neue Steuerpraxis über die kantonale Steuerkonferenz zum nationalen Standard erheben. Zumal drei Viertel der Gründer der besten Schweizer Hightech Startups ihre Wurzeln im Ausland haben, wandern diese dann ganz ab und die Position der Schweiz als führender Innovationsstandort wird mittelfristig stark beschädigt. Wir sprachen mit Beat Schillig, Gründer und Präsident des IFJ Institut für Jungunternehmen und venturelab über das Thema, welches in der Zürcher Startup Szene gerade heiss diskutiert wird.

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Worin genau besteht das Problem für Zürcher Startups und ihre Angst vor der nächsten Steuerrechnung?
Das Problem ist einigermassen komplex und lässt sich am besten anhand eines konkreten Beispiels erklären, welches ich persönlich durchlebt habe: Im November 2009 habe ich CHF 170‘000 in ein IT-Startup investiert, welches im Juni 2009 gegründet wurde. Das Geschäft hat sich gut entwickelt, so dass 2010, 2011 und 2012 internationale VC-Investoren im Rahmen von Kapitalerhöhungen mehrere Dutzend Millionen Franken investiert haben, um das globale Wachstum zu finanzieren. Ende 2012 war mein 3%-Anteil am Unternehmen satte CHF 7.25 Millionen „wert“. Auf dem Papier wohl gemerkt. Denn als kleiner Business Angel hat man aufgrund Aktionärsbindungsverträgen keine Möglichkeit seine Aktien zu verkaufen. Das geht nur bei börsenkotierten Firmen.

2016 wird die Firma nun voraussichtlich verkauft. Und zwar zu einem Preis, der unter der sogenannten Liquidationspräferenz liegt. Das heisst, dass die VC-Investoren aus dem Verkaufserlös zuerst ihr investiertes Kapital zurückerhalten. Fazit: Die Gründer, deren Familienmitglieder und Freunde aus dem Studium, sowie ich als Business Angel, welche am Anfang in ein Team und eine Idee investiert haben, gehen leer aus. Dass ich meinen Einsatz verloren habe, ist zwar bedauerlich, aber schliesslich waren meine CHF 170‘000 auch Risikokapital. Und nur 2 von 10 Firmen, die von Venture Capital-Firmen finanziert werden, schaffen einen wirklich profitablen Exit.

Auch der Gründer, beim Start ein mittelloser Student, hätte CHF 1.5 Millionen an Steuern bezahlen müssen und am Schluss keinen Franken erhalten.

Der Skandal ist nun die neue Praxis der Zürcher Steuerbehörden: Wäre diese Firma im Kanton Zürich niedergelassen gewesen, hätte ich über CHF 300‘000 an Vermögenssteuern für eine Beteiligung an einem Startup bezahlen müssen, das sich am Schluss als völlig wertlos herausgestellt hat. Die Gründer und alle anderen Privatinvestoren hätten dasselbe Problem gehabt, weil die Steuerbehörden am jeweiligen Wohnkanton auf den festgelegten Steuerwert des Sitzkantons des Startups abstellen. Auch der Gründer, beim Start ein mittelloser Student, hätte CHF 1.5 Millionen an Steuern bezahlen müssen und am Schluss keinen Franken erhalten.

Welches Fazit müssen Zürcher Startups und Schweizer Investoren aus dem genannten Beispiel ziehen?
Aus meiner Sicht kann man folgende drei Fazits ziehen:

  1. Muss ich als Business Angel mit der Zürcher Steuerpraxis rechnen, dann bin ich gezwungen, sofort meine Startup-Investments zu stoppen und die vorhandene Liquidität für nicht absehbare und potenziell ruinöse Steuerfolgen zu reservieren. Und falls ich doch noch ein Investment ins Auge fassen würde, dann nur noch in Startups, die nicht im Kanton Zürich ihren Sitz haben.
  1. Als Gründer im Kanton Zürich wird es praktisch unmöglich, Business Angels mit Steuersitz in der Schweiz zu gewinnen. Damit sind sie ihrer wichtigsten, resp. fast einzigen Finanzierungsquellen zu Beginn beraubt. Sie haben gar keine andere Chance, als in einen anderen Kanton abzuwandern. Gelingt es dem Kanton Zürich, seine neue Steuerpraxis zum nationalen Standard zu erheben, dann bleibt nur das Ausland: Hallo Berlin und London.

Als Gründer im Kanton Zürich wird es praktisch unmöglich, Business Angels mit Steuersitz in der Schweiz zu gewinnen.

  1. Ohne Business Angels und Venture Capital können Hightech-Startups nicht lanciert werden. Mit der neuen Praxis der Zürcher Steuerbehörden wird der Startup-Szene massiv geschadet. Die besten Startups, welche mit Venture Capital international wachsen wollen und können, sind die Zugpferde der Szene. Und wir sind auf dem besten Weg, genau diese zu verlieren.

Welche Vorgehensweise des Zürcher Steueramtes wäre dagegen für die dortige Startup-Szene sinnvoll?
Das obige Praxis-Beispiel zeigt, dass die neue Zürcher Steuerpraxis der Bewertung des Steuerwerts anhand des letztbezahlten Aktienpreises im Rahmen einer Finanzierungsrunde katastrophale Konsequenzen für den Startup- und Innovations-Standort Schweiz mit sich bringt. Die einzige sinnvolle Lösung, die ich sehe, ist es, den Steuerwert für Startups nach der gleichen Methode wie bei allen anderen KMU festzulegen, nämlich nach der Substanz-/Ertragswert-Berechnung. Sobald ein effektiver Exit stattfindet und der Gewinn auf dem Konto liegt, wird dieser dann automatisch als Vermögen erfasst und besteuert.

venturelab bemüht sich Startups zu helfen, die diesem Problem gegenüberstehen. Dazu hat der Startup-Accelerator eine eigene Seite eingerichtet, in der ihr alle Infos zum Thema #StartupSteuer findet.

Nachfolgend findet ihr eine Chronologie der Ereignisse zum Thema 

Bis ca. 2012 wurden Aktien von Startups für die Vermögenssteuer nach dem Substanzwert bewertet (z.T. kombiniert mit Ertragswert), wobei ein Pauschalabzug von 30% für vermögensrechtliche Beschränkungen gewährt wurde. Dieses Vorgehen ist auch die übliche Praxis in allen anderen Kantonen.

Seit 2013 beginnt die kantonale Steuerbehörde in Zürich willkürlich bei Einzelfällen letztbezahlte Aktienpreise von Finanzierungsrunden als Bewertungsgrundlage heranzuziehen. Zusätzlich wird der Pauschalabzug von 30% nicht mehr gewährt. Als Begründung dafür führen die Zürcher Behörden das Kreisschreiben 28, datiert von 2008 ins Feld. Obwohl sich an diesem nichts geändert hat, legen es die Zürcher auf einmal neu aus. Eine Frage bleibt hier bestehen: Wer hat wann genau diese Praxisänderung mit welcher Motivation veranlasst?

Frühjahr 2015: Erste aufgebrachte Startups melden sich bei venturelab. Aufgrund der definitiven Steuerveranlagungen der Vorjahre werden diese auf einmal mit astronomischen Steuerrechnungen konfrontiert, die sie mit ihrem magereren Einkommen gar nicht bezahlen können.

Sommer 2015: Eine Umfrage bei den Startups zeigt, dass bisher nur wenige Gründer betroffen sind und die Steuerpraxis im Kanton Zürich reiner Willkür gleicht: Der Steuerwert einiger Startups wird zu nominal festgelegt, bei anderen nach Substanzwert. Einige erhalten den Minoritätsabschlag, andere nicht. Neu ist, dass Startups ab Gründung aufgrund des Aktienpreises der letzten Finanzierungsrunde bewertet werden.

Juni 2015: venturelab organisiert mit den betroffenen Startups und Steuerexperten einen Workshop.

Herbst 2015: Betroffene Gründer und verschiedene Vertreter der Startup-Szene werden politisch aktiv und bilden eine Arbeitsgruppe. Das Problem wird der Finanzdirektion unterbreitet mit dem Antrag zur bisherigen Steuerpraxis zurückzukehren. Die Zürcher Steuerbehörden treten in zähe Verhandlungen mit einer Arbeitsgruppe.

1.03.2016: Der Kanton Zürich lanciert eine Medienmitteilung, in der mitgeteilt wird, dass die Praxis bei der Bewertung von Unternehmen in deren Anfangsjahren angepasst wird. Dem guten Willen der Arbeitsgruppe zum Trotz, ersetzt der Kanton Zürich seine vorher willkürliche Praxis durch eine Praxis, welches die Besteuerung des Vermögens aller Aktionäre zum letztbezahlten Aktienpreis eines neuen Investors im Rahmen einer Finanzierungsrunde zum Standard erhebt.

1.03.2016: Blick veröffentlicht die Kritik von Stefan Steiner, verantwortlich für venturelab in der Deutschschweiz: «Steuererleichterungen gehen zu wenig weit: Kanton Zürich vergrault Start-ups.»

2.03.2016: Blick zensiert seinen eigenen Online-Artikel und ersetzt diesen mit «Kanton Zürich zeigt Herz für Startups: Ein Schritt in die richtige Richtung»

2.03.2016: Andere Medien Berichten kritischer über das Vorgehen des Steueramtes. So hat beispielsweise die Limmattaler Zeitung sich mit dem IFJ und dem Bio-Technopark darüber unterhalten: «Das neue Regime für Startups freut nicht alle»

13.03.2016: Die Kritik am Vorgehen von Blick.ch wird in den sozialen Medien immer lauter und ebenfalls in der Sonntagszeitung diskutiert.

19.03.2016: Tages-Anzeiger schreibt, dass sich Nationalräte dafür einsetzen, dass sich die Steuersituation für Startups verbessert. Dies führt unter anderem zu ungewöhnlichen Koalitionen, wie z.B. zwischen SP-Nationalrätin Jacqueline Badran und Neo-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher von der SVP: «Startups sollen weniger Steuer zahlen»

23.03.2016: Jan Wurzbacher, CEO von Climeworks, sagt uns im Interview: «Wir können die Steuerrechnung nicht mehr bezahlen»

05.04.2016: Dennis Just, CEO des Versicherungs-Startups Knip, erklärt der NZZ, weshalb die Steuerpraxis dem Kanton Zürich schaden wird.

12.04.2016: Movu-CEO Laurent Decrue sagt bei uns im Interview, dass man prüfe, den Firmensitz zu verlegen. Weil die Firma bereits 2005 gegründet wurde, profitiert man nicht von der Übergangsfrist und leidet stark unter der neuen Praxis.

17.04.2016: ETH-Präsident Lino Guzzella sagt im Interview mit der Sonntagszeitung: «Ein Wegzug von Spin-offs in steuergünstigere Kantone oder ins Ausland hätte negative Auswirkungen auf die Innovationskraft.»

02.05.2016: Uepaa hat die Mitarbeiterbeteiligung gestoppt und prüft den Firmsitz zu verlegen. CEO Mathias Hausmann erzählt uns, welche Massnahmen er gegen die #StartupSteuer ergriffen hat.

19.05.2016: Der Wiederstand gegen Regierungsrat Ernst Stocker wird grösser. Er ist gezwungen eine Medienkonferenz einzuberufen und stellt sich den unangenehmen Fragen. Am selben Tag veröffentlicht SRF einen Beitrag dazu mit Staff Finder CEO Viktor Calabrò. Auch das Radio SRF berichtet darüber.

19.05.2016: Business Angel Roland Zeller nimmt Stellung zur Medienkonferenz von Ernst Stocker und hat sich dafür in die «Höhle des Löwen» begeben.

23.05.2016: Judith Bellaiche (glp-Kantonsrätin), Stefan Steiner (Managing Director venturelab), Urs Haeusler (Präsident Swiss Startup Association) und Carole Ackermann (Präsidentin Business Angels Schweiz) laden zu einer Medienkonferenz ein. Das Medienteresse ist gross. Sowohl NZZ, 20 Minuten und Tele Top berichten darüber.

23.05.2016: Am selben Tag reichen bürgerliche Parteien ein dringliches Postulat ein und erhöhen somit den Druck auf Stocker.

Stefan Steiner von der Tamedia

Bist du von der Steuerthematik selber betroffen oder hast du Fragen? Stefan Steiner, Managing Director von venturelab in der Deutschschweiz, hilft dir gerne weiter: sts@venturelab.ch; +41 (0)71 242 98 88