Kann das Micro-Blogging-System Twitter für Startups von Nutzen sein? Und wenn ja – wie setzt man das vermeintliche „Plaudertool“ gewinnbringend ein?

Um gleich dem Widerspruch im Titel vorzugreifen: Natürlich müssen sie nicht. Niemand muss derzeit twittern, ebenso wenig wie bloggen oder überhaupt das Internet als Kanal für sein Startup benutzen. Nur ist man dumm, wenn man die Chance zum Dialog auslässt.

Die generelle Twitter-Sinnfrage, die derzeit in Dutzenden von Presseartikeln (siehe Google News) gestellt wird, kann man natürlich auch auf Startups anwenden: Wie sinnvoll kann es sein, wenn die Öffentlichkeit weiss, wann das Team sich Pizza ins Büro liefern lässt? Solche Zuspitzungen sind eine leichte Beute für „kritische“ Journalisten, aber sie gehen am Thema vorbei. Für meine Freunde kann es durchaus interessant sein zu wissen, was ich zu Abend esse. Die Frage ist nun, wie werden Fremde zu Freunden eines Startups? Wie immer: in mehreren Schritten.

Twittern ist Bloggen zum Quadrat.

Blogs waren und sind „schneller“, Blog-Beiträge meist kürzer als „klassische“ Artikel online oder offline, und Twitter ist nochmal radikal kürzer (nur absurde 140 Zeichen sind erlaubt). Entsprechend kann man viele Vor- und Nachteile des Bloggens auch auf Twitter anwenden, die meisten nur verstärkt.

Nehmen wir das Beispiel der Pizzalieferung an das Startup-Team im Büro. Ist das relevant für einen neuen Nutzer des Firmenangebots? Auf den ersten Blick natürlich nicht. Aber vielleicht lässt sich ein potenzieller User nach und nach auf die Firma ein. Zuerst lernt er das Produkt kennen (falls schon vorhanden), hat vielleicht Kontakt via einer Support-Mail und besucht danach er die obligatorische „Team“-Seite der Gründer. Nun will er etwas mehr erfahren und entdeckt den Twitter-Account der Firma oder des CEOs. Warum sollte man dann nicht auch lesen wollen, wenn dieser dem Team 5 Pizzas mit ins Büro bringt (Beispiel aus Südafrika, gefunden per Twitter-Suche nach „pizza office“).

Niemand wird behaupten, die Reihenfolge sei, dass sich jemand für die Pizza-Geschichten eines Startups interessieren würde und dann für dessen Produkt, dass Twitter also ein starker Hebel für den Absatzmarkt sei. Das ist beim Bloggen genauso, insofern erstaunt mich auch der etwas rückwärtsgewandte Kommentar eines Webstartup-Mitarbeiters auf meinen Blogging-Artikel.

Natürlich ist klassische PR auch schön. Als ich 2006 mal ganzseitig in der SonntagsZeitung war, bin ich am Montag etwa fünfzehn Mal darauf angesprochen worden, teilweise von Leuten, von denen ich gar nicht wusste, dass sie mich kennen. Nur: Was ist mit der Conversion? Wie viele von den 200’000Leserinnen und Lesern sind danach auf unsere Blogs gegangen, haben also das unser Produkt angefangen zu nutzen? Sehr wenige. Früher gab es in der Abendzeitung „heute“ (jetzt „Blick am Abend“) eine Rubrik „Daily Blogging“, in der unsere Blogs gelegentlich zitiert wurden. Der Effekt war nie erkennbar.

Beim Startup-Twittern geht es eben nicht vor allem um den Absatzmarkt, sondern um Recruiting, Feedback, Networking in der „Szene“ etc. Twitter hat einfach einige „soziale“ Funktionen übernommen oder ergänzt. Als ich 2000 Zeix gründete, dauerte es einige Jahre und viele Apéros, bis wir die Zürcher Internet-Szene einigermassen kannten, und sie uns. Heute ist dies viel schneller möglich, und Twitter ist einer der Treiber. Die Apéros sind natürlich nicht weggefallen – aber wenn man heute dort ankommt, kennt man viele Leute schon von Online-Kontakten. Und wieso sollte man dann nicht sagen: „Und, wie war die Pizza gestern?“

Im Gegensatz zur gern von Journalisten geäusserten Meinung, Twitter sei eine grosse Zeitverschwendung, kostet Twitter de facto kaum Zeit, (solange man nicht hunderten von Leuten followed und den Ehrgeiz hat, alles zu lesen), sondern es lässt sich perfekt in kleine Arbeitspausen im Tram, beim Kaffee, beim Rauchen integrieren. Im Vergleich zum Bloggen kommt ausserdem hinzu, dass es dort ein bisschen peinlich sein kann, wenn man längere Zeit nichts schreibt und der letzte Eintrag vier Wochen alt ist. Diesen Effekt gibt es bei Twitter überhaupt nicht. Man klinkt sich ein und ist wieder dabei.

Obwohl ich Twitter zur Neukundenakquise oben klein geredet habe, behaupte ich dennoch: Jedes Startup kann auch hier von Twitter profitieren. Nehmen wir als Gedankenspiel ein Beispiel für ein pures Offline-Business: das Eiscafé „Gekko“ in St. Gallen. Es liegt in der Augustinergasse 20, eigentlich recht zentral, 150 m vom Marktplatz, aber klar abseits der Laufströme von Fussgängern. Es hat nicht mal eine eigene Website, sondern ist nur bei Qype zu finden. Die Gründerin ist daher auf ein Werbung angewiesen und hilft sich derzeit mit Plakaten, Flyern etc.

Würde sie twittern, zum Beispiel mit dem iPhone, könnte sie mit der „Nearme“-Funktion, die die meisten Twitter-Clients anbieten, schnell einigen „prominenten“ St. Galler Twitteren wie @superdeluxe (395 Follower), @dratir (226 Follower) oder @capo42 (131 Follower) oder @toxicfm (nur 63 Follower, aber Radiosender) folgen. Einige würden sicher direkt zurückfolgen. Würde die Jungunternehmerin am Samstag etwas twittern, z.B. jedem Twitterer eine Gratis-Glacé-Kugel offerieren, würden sicher einige auch kommen, einige würden (öffentlich) antworten, dass sie leider nicht vor Ort seien, und so weiter. Natürlich reden wir hier nicht von einem Millionenmarkt, aber den zu erobern war sowieso nie das Ziel eines kleinen Eiscafés in St. Gallen – es geht darum, ob es effektivere und effizientere Kommunikationskanäle gibt als Plakate.

So kann Twitter auch in der Nische relevant sein, und es wundert nicht, dass Twitter von kleinen Unternehmen stärker genutzt wird als von grossen . Molly Chills (eine fiktive lesende Affendame, alias Olivera Wahl), schrieb uns, dass Twitter, nach Wikipedia, aber noch vor Google, zweitwichtigster Trafficbringer für Ihre Lese-Community molly-chills.com sei.

Der Abschluss dieser kleinen Serie folgt in Teil 3: „Der Social-Media-Marketing-Mix“.

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