Ein rationaler Umgang mit Risiken wäre effizienter als ressourcenverschleissender Kampf gegen theoretische Gefahren. Der Psychologe Gerd Gigerenzer fordert deshalb eine Ausbildung zu mehr Risiko-Kompetenz.

gerd_gigerenzerDas englische Wort „Savvy“ ist kaum wörtlich zu übersetzen und wenn, dann eigentlich nur mit einem Objekt: „Savvy“ beschreibt , dass jemand in Bezug auf etwas anderes wissend, es kennend oder sich dessen bewusst ist. Gerd Gigerenzer fordert in seinem englischen Vortrag, den er am Dienstag in Zürich an der TEDx vor rund 600 Leuten hielt, mehr Bemühungen, die Menschen „risk savvy“ zu machen: Sich des Risikos von Handlungen und Aktionen bewusst.

Interessanterweise meint der Wissenschaftler mit seinem Aufruf nicht etwa, dass wir uns der Risiken zu wenig bewusst wären. Er reklamiert viel mehr, dass die Menschheit insgesamt dazu tendiert, Risiken zu überschätzen, falsch zu bewerten oder ganz einfach nicht damit umgehen zu können.

Übersetzt auf ein wirtschaftliches Denken könnte man seine These auch als flammenden Appell für mehr Unternehmer- und Pioniergeist betrachten. Und Gigerenzers Argumente sind überzeugend.

Die 2600 verspäteten Opfer von 9/11

Wenn der Wettermensch am TV den Amerikanern „eine Chance von 50% Regen für den Samstag“ und eine von 50% für den Sonntag vorhersage, dann wisse eigentlich niemand, was das genau heisst. Die einen, sagt Gigerenzer, gehen von absoluter Regensicherheit aus – denn zweimal 50 Prozent sind hundert Prozent. Andere nähmen schlicht an, dass es die halbe Zeit, also 12 Stunden lang, regnen werde an diesen Tagen. Und so weiter: Ohne den Massstab für den Prozentsatz, zeigt Gigerenzer damit, können die Menschen mit der Aussage eigentlich nichts anfangen.

Sein zweites einleuchtendes Beispiel ist der Rückgang des zivilen Flugverkehrs in den USA nach 9/11. In den zwölf Monaten nach den Terroranschlägen sei die Zahl der Langstrecken-Autofahrten in den USA sprunghaft angestiegen, und entsprechend auch die Zahl der Verkehrstoten: um rund 2600 Opfer. Nachdem es in den gleichen zwölf Monaten in den USA kein einziges Todesopfer eines Unfalles in der kommerziellen Zivilluftfahrt gegeben hat, sagt Gigerenzer, hat die blosse Fehleinschätzung des Risikos im Luftverkehr nach 9/11 2600 zusätzliche Opfer gefordert. Wären die Menschen geflogen statt gefahren, sie wären alle noch am Leben.

Die Umkehrung sei ebenfalls zu beobachten, sagt Gigerenzer: Menschen haben die Tendenz, Ereignisse, bei denen viele von ihnen plötzlich und gemeinsam sterben, stark zu gewichten, während sie sich vor weitaus grösseren Opferzahlen, die sich über einen längeren Zeitraum ergeben, nicht beeindrucken lassen.

Für die Forschung von Mitteln gegen Krebs gebe die Menschheit jährlich Unsummen aus, dabei seien viele Krebsarten ganz einfach auf Verhaltensweisen der Menschen zurückzuführen. Mit der Hälfte der Forschungsmittel für Prävention und Aufklärung, sagt Gigerenzer, würden viel mehr Menschen gerettet als mit den bisherigen Forschungsresultaten. Er fordert deshalb die aktive implementierung eines lehrplans für Risikobewusstheit, „risk literacy“, der den Menschen die Fähigkeit gebe, Risiken richtig einzuschätzen, objektiv zu beurteilen und sich so vor Manipulationen zu schützen.

Und sein eigener Umgang mit Risiken, nach dem ihn Moderatorin Dania Gerhardt auf der Bühne fragte? „Nun, ich habe mir angewöhnt, Entscheidung viel schneller zu treffen. Natürlich kann man immer noch besser abwägen und die Risiken richtig einschätzen“, sagte Gigerenzer, „aber Fehler passieren auch so noch, und der Entscheidungsvorgang ist viel zu anstrengend. Rasche Entscheidungen haben mir das Leben deutlich entspannt.“