Die Schweizer seien zu bescheiden und zu risikoscheu, sagen Experten: Deshalb sei das Land ein Importeur von Risikokapital und ein Exporteur von Arbeitsplätzen, die aus Startups resultieren. Hat diese Medaille auch eine Kehrseite?

MentalitätWenn ich in Zürich in einem Srassencafé einen Gast kommandieren höre: „Ich krieg noch ein Bier!“ und am Tisch nebenan jemand auf Schweizerdeutsch sagt „Könnten wir bitte gelegentlich die Rechnung haben“, muss ich regelmässig schmunzeln und mich fragen, wie es dieses Land geschafft hat, international mit mehr als Tourismus und Bankgeheimnis erfolgreich zu sein.

Ähnlich ergeht es mir, wenn ich Schweizer Gründer an einem Meetup wortreich und fast entschuldigend ihre halbfertige Businessidee erläutern sehe und mir die knallharten, von Selbstbewusstsein (und gelegentlich -überschätzung) strotzenden 5-Minuten-Präsentationen an den wöchentlichen Veranstaltungen im Silicon Valley in Erinnerung rufe.

Übersteigertes Qualitätsbewusstsein?

In einschlägigen Kreisen wird denn auch beklagt, die gut gebildeten und fleissigen Schweizer seien zu zaghaft (risikobewusst), durchsetzungsschwach (höflich) und minderwertigkeitskomplexbehaftet (qualitätsorientiert).

Die gleichen Eigenschaften machen die Schweiz aber auch zu einem spannenden Testmarkt etwa für hochwertige Elektronik: Die Kaufkraft ist hoch, die Bildung ist gut und die Qualitätsanforderungen sind eine Benchmark. Ein Insider hat mir mal erzählt, Computermonitore würden in die Schweiz mit einer weit geringeren Pixelfehler-Toleranz eingeführt als in umliegende europäische Länder: Kein Schweizer akzeptiert einen winzigen leuchtend roten Punkt am neuen 26-Zoll-Bildschirm, auch nicht, wenn er das Gerät als Sonderangebot gekauft hat.

Freundlichkeit als Gründervorteil

Und kürzlich hat mir die (deutschstämmige) Gründerin eines Dienstleistungs-Startups erzählt, ohne das Zuvorkommen ihrer ersten potentiellen Lieferanten und Kunden, die freundliche und zugleich sachlich-perfektionistische Kritik des Testpublikums und die Ermunterungen im direkten Umfeld hätte sie die ersten Monate der Firmengründung nicht überstanden. Die Schilderung gipfelte in der Aussage „Ausser hier hätte ich nirgends gründen können“.

Das veranlasst mich zur Frage, ob denn all die vermeintlich negativen Eigenschaften der Sprichwörtlichen Schweizer Zurückhaltung für Firmengründer auch positive Seiten haben, die über das Hinauszögern des psychischen Kollapses hinausreichen. Ich freue mich über Mails und Kommentare: Sind Respekt im Umgang mit der Konkurrenz oder den Ideen Dritter, Sozialbewusstsein, der Mangel an „Going-Big“-Strategien, aber auch kritische Kunden und Nutzer, zurückhaltende Marketinggepflogenheiten und die Ablehnung überzogener Werbeversprechungen auch hilfreich? Können Startups davon profitieren? Tun sie es bewusst oder nicht? Und wie?

Ich werde in den kommenden Wochen Stimmen zu diesem Thema sammeln und bin dankbar für jede Rückmeldung. Per mail, aber auch in der Kommentarspalte, auf Twitter und Facebook.

Startupper und Firmengründerinnen: Ist die Schweizer Mentalität ein Standortvor- oder Nachteil? Spielt sie für Euch überhaupt eine Rolle?